Blaue Frau by Antje Rávik Strubel

Blaue Frau by Antje Rávik Strubel

Autor:Antje Rávik Strubel [Strubel, Antje Rávik]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783104914480
Herausgeber: FISCHER E-Books


Am Morgen in der Küche hatte Razvan Stein sich entschuldigt. Er hatte die Arme ausgebreitet, als wollte er sie an seine gebügelte Hemdbrust ziehen, dieser Tage immer mit Schlips, wobei ihr Kopf in seiner Magengegend gelandet wäre. Dann hatte er ein Eispäckchen aus dem Gefrierschrank genommen und an ihre schmerzende Schulter gepresst. »Hier. Besser? Manchmal fährt da was in mich, Große –. Nimm’s mir nicht übel.«

Ihm stand nicht der Sinn nach Spinnereien. Er war unter Druck. Die Bank, die Handwerker, die Zulieferfirmen fürs Material, alle hielten ihre Hände auf, selbst für die Reparatur von Dach und Regenrinne fehlte Geld. Und immer noch führte kein Weg in die oberen Etagen der bundesdeutschen Kultur.

»Reden großspurig daher, die Säcke. Keiner von denen will sich mit diesem … wie nennen sie es, Wolfserwartungsland, beschäftigen! Sitzen sich in Berlin die Ärsche breit, und während sie auf die Wölfe warten, zahlen sie ihr schlechtes Gewissen mit dem Streichen von Fassaden in toten Kleinstädten ab! Aber wir stemmen das.«

Beim Hinausgehen sagte er: »Alles für das Wohl des Gutes!« Das war Razvan Steins Maxime. Er äußerte sie immer mit einem gewissen Getöse. »Vom Bürokram bist du künftig entbunden. Wir haben Wichtigeres vor.«

Wie sich herausstellte, war sie auch von einem Teil dessen entbunden worden, was Razvan Stein zu ihren Privilegien zählte. Sie musste weiterhin nicht an den lustigen Abenden im oberen Büro teilnehmen. Aber beim nächsten Gelage sollte sie dabei sein. Es wurde zu Ehren des Mannes gegeben, den Razvan Stein in Berlin umwarb, den er an Land ziehen wollte, ein »Multiplikator«, eine wichtige Figur in der Kulturpolitik, den es »in Sachen Osteuropa zu sensibilisieren« galt. Sie hatte als Einzige mit einer waschechten Kindheit in Osteuropa schon Erfahrungen in Deutschland gemacht. Ostmitteleuropa, korrigierte sie ihn, was er überging. Sie hatte Großstadtluft geschnuppert und in einem Fotostudio gearbeitet. Ihr Deutsch war anständig. Da kam einiges zusammen, was nützlich war.

»Finde raus, wie er tickt. Erzähl ihm, was wir vorhaben. Er muss nur anbeißen, das Klein-Klein übernehme dann ich.«

Nach dem Aushilfsjob in der Glühweinbude, nach den nassen Saunahandtüchern im Zlatá Vyhlídka, den eintönigen Wochen des Flyerfaltens und dem missglückten Dolmetschen war das eine echte Aufgabe. Und es war ein Vertrauensbeweis. Razvan Stein übertrug ihr die Verantwortung für einen wichtigen Mann aus der bundesdeutschen Kulturpolitik.

»Verstehst du jetzt, warum ich dich nicht in Lumpen sehen will?«

Er würde keinen Grund zur Beschwerde haben.



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